GEMA vs. YouTube: Gerüchte, Zahlen, Forderungen


Das Erstaunliche am oben gezeigten Anonymous-Video, mit dem sich die Gruppierung in den Streit zwischen der GEMA und Google/YouTube einmischt, bei dem es um die Vergütung der musikalischen Urheber von Musikvideos geht: Offenbar wissen Anonymous weit mehr als andere Beobachter des Kampfes, unter dem so gut wie jeder Internet-Nutzer hierzulande leidet. Oder sehr viel weniger. Aus dem Statement des Videos:

(…) Wir beobachten mit Sorge eure überhöhten Forderungen bezüglich urheberrechtlich geschützem Material auf Youtube und anderen Plattformen dieser Art. (…) Ihren überzogenen Forderungen kann und wird das Unternehmen Google nicht zustimmen können, da es nicht die benötigten Werbeeinnahmen generieren kann. (…)

Das ist bei aller Sympathie für Anonymous beinahe so putzig wie die aktuelle Rebellion der Plattenbosse.

Denn: Die Verhandlungen zwischen GEMA und Google sind geheim, sie unterliegen einem strengen, meines Wissens auf Wunsch von Google unterzeichneten NDA („Non Disclosure Agreement“), also einem Stillschweigeabkommen. Keine Spur von Transparenz ist zu entdecken bei diesen Verhandlungen, und so wissen nur wenige Menschen, wie hoch die aktuellen Forderungen der GEMA tatsächlich sind, vermutlich noch weniger haben eine Ahnung, was sich Google im Gegenzug vorstellt, und so gut wie niemand außerhalb der Google-Leitung dürfte einen Überblick haben über die YouTube-Einnahmen durch Musikvideos in Deutschland.

Unter diesen Voraussetzungen also von „überhöhten Forderungen“ zu reden, sich stattdessen für ein Unternehmen einzusetzen und so zu tun, als könne dieses Unternehmen aus Not seine Miete nicht bezahlen; gleichzeitig gegen einen zwar seit Jahren furchtbar agierenden und gemeinsam mit dem geltenden Urheberrechtsgesetz dringend erneuerungsbedürftigen, im Kern aber einer freiwilligen Solidargemeinschaft zuträglichen Verein zu wettern, der 2010 von den eingenommenen 863 Millionen Euro immerhin 736 Millionen an seine rund 65.000 Mitglieder ausgezahlt hat … das kann man mindestens als „interessante Sichtweise“ bezeichnen. Zum Vergleich: Das YouTube-Mutterschiff Google hat im ersten Quartal 2011 einen Gewinn von 2,3 Milliarden Dollar erwirtschaftet.

Doch das ist und bleibt wahrscheinlich das Fantastische an Google: Dass der Konzern es immer wieder schafft, als eine Art kultureller Robin Hood dazustehen und nicht als das, was er ganz einfach ist: Ein profitorientiertes Mega-Unternehmen, das 97% seiner Umsätze mit Online-Werbung macht und nebenbei noch die Art und Weise, wie der Großteil der Nutzer das Internet erlebt, maßgeblich bestimmt. Ich nutze Google-Produkte und halte einige davon für qualitativ absolut hochwertig – bei aller Anerkennung braucht man aber nicht zu vergessen, dass Google kein gemeinnütziger Verein ist.

Wenn wir von der GEMA und YouTube reden, dann reden wir von Vereinbarungen zwischen den Urhebern, also den Komponisten und Textern eines Songs (besser: deren Vertretern), und der Plattform, die mit diesen Songs Umsätze generiert, also YouTube. Das ist wichtig, denn nicht nur diese Urheber haben ein Interesse daran, an den Gewinnen von YouTube beteiligt zu werden, sondern auch die Inhaber der „Masterrechte“ eines Musikclips, also diejenigen, welche die Aufnahme des Songs und die Produktion des Videos finanziert haben. Diese jedoch haben mit der GEMA erstmal nichts am Hut und haben sich daher mit YouTube in einigen Fällen bereits vor Jahren geeinigt. Die durch einen Musikclip entstandenen Werbeeinnahmen werden dabei – so eine Vermutung – in etwa halbiert: Die eine Hälfte geht an den Inhaber der Masterrechte, der daran je nach Vertrag den Künstler beteiligt, die andere Hälfte bleibt bei YouTube. Das klingt fair und ist vor allem kein Pappenstiel, denn etwa fünf bis zehn Euro pro tausend Videoabrufe können so an den Master-Inhaber gehen. Bei einem Superhit, der auf 100 Millionen Videoabrufe kommen kann, können also schon mal mindestens eine halbe Million Euro hängenbleiben. Eine kleinere Band jedoch braucht 200.000 Video-Views, um auf einen Tausender zu kommen.

Das alles aber natürlich nur (und das ist ebenso wichtig, um Googles Strategie in den Verhandlungen zu verstehen), wenn Werbung innerhalb der Videos geschaltet wird. Wenn ein Künstler und/oder der Master-Inhaber dies nicht möchte (und ja, das gibt es), geht er leer aus.

Genau deshalb möchte sich die GEMA in ihrem Bereich vermutlich nicht auf einen werbe-abhängigen Deal einlassen, sondern fordert eine generelle Vergütung ihrer Mitglieder, die zunächst unabhängig davon ist, ob Werbung in den Videos stattfindet. Diese GEMA-Forderung soll genau das verhindern, was Google wahrscheinlich erreichen möchte: Die Urheber wären über einen solchen werbe-abhängigen Deal mehr oder weniger dazu gezwungen, ihre Musik mit GoogleAds zu verknüpfen.

Nun ist es nicht so, dass Google eine generelle Abgabe an die GEMA ablehnt, doch über die Höhe wird gestritten, denn natürlich möchte die GEMA diese Summe so hoch, Google hingegen aus den gerade genannten Gründen so niedrig wie möglich ansetzen. Wer verdienen will, muss eben Google-Werbung zulassen, so sieht Google das vermutlich und lud daher gestern die Musikindustrie zu einem speziellen „YouTube-Event“ ein, pikanterweise zu genau dem gleichen Zeitpunkt, an dem die GEMA-Mitgliederversammlung in genau der gleichen Stadt (München) begann. Aus der Google-Einladung:

Liebe Musikschaffende,

Wenn Sie “YouTube” hören, woran denken Sie dann? Die weltgrößte Video – Webseite? – Klar. Eine globale Marketing – Plattform? – Auch. Eine Umsatzquelle? Rechtemanagement? Ein globales Marktforschungs-Tool? Hmm, interessant….

YouTube hat in kurzer Zeit die Musikindustrie weltweit geprägt. Für viele Interpreten, Labels, Komponisten, Autoren und Verlage ist YouTube zum festen Bestandteil ihrer Digitalstrategie geworden. Unzählige Künstler sind über YouTube entdeckt worden und haben über unsere Plattform nationale und internationale Bekanntheit erlangt. YouTube fehlt in kaum einer Marketingstrategie von Musikmanagern. YouTube hat sich in vielen Ländern als signifikante Umsatzquelle für Musikschaffende etabliert. ‘We make our music videos for YouTube’, bekannte Troy Carter, weltweiter Manager von Popstar Lady Gaga.

Wir laden Sie herzlich ein, die Welt von YouTube mit uns zu entdecken! Wir möchten Ihnen einen Blick ‘hinter die Kulissen’ geben und Ihnen zeigen, wie Sie YouTube für sich nutzen können.

Snacks und Getränke stehen für Sie bereit.

Ich übersetze das in etwas so: „Wir bieten euch kostenfreie Rechtekontroll- und Analyse-Tools und wenn ihr eure Clips für GoogleAds freigebt, auch noch Möglichkeiten zur Monetarisierung eurer Künstler.“ Fair enough. Soweit.

Wäre da nicht die doofe GEMA, die mit den Master-Inhabern nur gelegentlich zu tun hat, für die Werbeeinahmen ein zweites Paar Schuhe sind und die daher ordentlich bockt.

Will man aber nun zu den realen Zahlen kommen, um die es überhaupt geht in den derzeit stillstehenden Verhandlungen, muss man sich zunächst leider in den Gerüchte-Keller begeben. 12 Cent soll die GEMA irgendwann einmal pro Video-View verlangt haben, eine tatsächlich unrealistische Forderung. Irgendwann soll man dann angeblich einen Preis von 0,2 Cent, also 0,002 Euro pro View vorgeschlagen haben und dabei – dies wäre wichtig, wenn es denn stimmt – einen Unterschied zwischen „echten“, also offiziellen Videoclips eines Künstlers, und einer „Zweitverwertung“ durch Amateur-Nutzer berücksichtigt haben. Die Views zu einem offiziellen U2-Video wären in diesem Fall also nach der angeblichen Idee der GEMA mit 0,2 Cent an die Urheber vergütet worden, ein Amateur-YouTube-Clip, in dem ein Stück von U2 im Hintergrund läuft, jedoch mit weitaus weniger. Das Ganze hätte dann noch in Abhängigkeit der tatsächlich mit einem Video durch YouTube erzielten Werbeeinnahmen gebracht werden sollen.

Um nun als Außenstehender halbwegs entscheiden zu können, ob diese angeblichen 0,2 Cent viel oder wenig wären, müsste man wissen, welche Summen Google im Gegenzug anbietet. Dies ist in Deutschland wegen des bestehenden NDA kaum zu ermitteln, es geht jedoch auch anders: Man nimmt sich Zahlen aus den Ländern vor, deren Urhebervertretungen sich bereits mit Google haben einigen können. Großbritannien zum Beispiel.

Falls sich jemand fragt, wieso sich die Urheberrechtsgesellschaften in Großbritannien und anderswo bereits mit Google/YouTube einigen konnten: Beim britischen GEMA-Pendant PRS beispielsweise haben die Major-Labels das Sagen und drängten auf eine schnelle Lösung – in Deutschland ist der Einfluss der Majors auf die GEMA wesentlich eingeschränkter, was erstmal eher gut ist.

Ein deutscher Musikverlag, der international tätige Urheber vertritt, hat uns Einblick in seine YouTube-Abrechnungen aus Großbritannien gewährt. Nach diesen Abrechnungen erhält der Verlag zwischen 0,000077 Euro und 0,00016 Euro pro Video-Stream (und gibt davon 12% für die Abrechnung an die PRS ab), diese Zahlen mit einem Durchschnitt von 0,00019 0,0001185 Euro kann man sicher als Google-Richtwert auch für Deutschland annehmen.

Hinweis: Ich habe die Durchschnittszahl nachträglich korrigiert, da ich sie ursprünglich falsch gerundet hatte. Ich bitte um Entschuldigung!

Laut Horizont liegt der TKP, also der Preis für tausend Werbeeinblendungen im Web-TV-Markt, derzeit bei rund 20 Euro, Tendenz steigend. Geht man davon aus, dass nur die Hälfte aller Künstler Werbebuchungen via Google in ihren Videos zulässt und geht man weiterhin davon aus, dass die Hälfte dieser 20 Euro an die Master-Inhaber geht, verbleibt ein durchschnittlicher TKP von 5 Euro für alle Musikvideos zusammen bei Google, von dem die GEMA-Abgaben für ebenfalls alle Musikvideos bezahlt werden müssten – weitere Google-Einnahmen durch Werbung auf der Plattform, die nicht direkt im jeweiligen Video angezeigt wird und an denen daher weder Urheber noch Künstler beteiligt sind, lassen wir hier außen vor.

Eine Tabelle der Einnahmemöglichkeiten für Urheber mit diesen auf GEMA-Seite leider wackligen, aber nicht ganz undenkbaren Zahlen sähe demnach so aus:

gema youtube

Man sieht: Selbst nach angeblicher GEMA-Forderung bräuchte ein Komponist 1 Million Abrufe des Videos des von ihm verfassten Songs, um einmalig 2.000 Euro zu verdienen. Dennoch kann man über einen vermutlich geforderten Anteil von 40% der Google-Einnahmen natürlich streiten – genauso wie über die Google-Auszahlung von 3,8% dieser Einnahmen. Würden die Parteien weiter verhandeln (was derzeit nicht passiert, weil sich Google ob einer Klage der GEMA weigert), würde man vermutlich irgendwo dazwischen landen oder eben erst einmal temporäre Vereinbarungen treffen, die man in den kommenden Jahren dem Werbemarkt und anderen Entwicklungen anpasst.

Man sieht aber auch, dass man kein Mitleid mit Google zu haben braucht, da es keineswegs so ist, dass Google am Hungertuch nagt. Wer die bisherigen Beteiligungen von Künstlern und Urhebern an den Einnahmen der klassischen Musikindustrie kritisiert hat, der müsste bei den Google-Zahlen eigentlich sehr hellhörig werden.

Und selbst, wenn man die Forderungen der GEMA für zu hoch hält, profitieren von diesen Versuchen der Gewinnoptimierung immerhin diejenigen, welche die Musik komponieren. Die eingangs gezeigten Forderungen von Anonymous greifen daher meiner Meinung nach etwas zu kurz und vor allem zu einseitig. Es geht hier nicht allein um die GEMA, sondern auch um Google.

Wenn also von Konsumentenseite zurecht etwas gefordert wird, dann sehe ich hier eher folgende Ansätze:

1) Die Verhandlungen sollten sofort wieder aufgenommen werden. Für Google ist es als US-Unternehmen sicher nichts Ungewöhnliches, dass Verhandlungen von gleichzeitigen Klagen begleitet werden (so albern das auch sein mag), dieses Argument für die Einstellung der Verhandlungen dient meiner Vermutung nach daher allein der Image-Pflege von Google vor den deutschen Konsumenten und Medien und soll den Druck auf die GEMA erhöhen.

2) Die GEMA muss sich trotz allem bewegen und muss akzeptieren, dass die Regeln derzeit nicht von ihr bestimmt werden – dieser Zug ist leider abgefahren. Jeder Tag ohne Einnahmen für die Urheber schwächt deren Position und damit die der GEMA. Statt auf bestimmten Forderungen hängen zu bleiben, sollte die GEMA temporäre und flexible Abkommen mit Google anstreben, beide Seiten könnten so Erfahrungen sammeln. Und diese sind wichtig, denn die GEMA muss sich nicht allein um YouTube kümmern, sondern auch um Spotify, Soundcloud undundund …

3) Die Verhandlungen, die man als Tarifverhandlungen ansehen kann, brauchen Transparenz, denn die Öffentlichkeit hat ein starkes und berechtigtes Interesse an einer Einigung. Es geht hier bei allen zu verdienenden Milliarden um Kultur und nicht um einen Unternehmenskauf, der Stillschweigeabkommen der vorliegenden Art rechtfertigen könnte.

Solange Außenstehende, zu denen auch die Urheber und Künstler und die Medien gehören, kaum konkrete Vorstellung von den Verhandlungsgrundlagen haben, bleibt jeder öffentliche Diskurs allein der PR der Beteiligten ausgesetzt.

Und wer darin besser ist, wissen wir.

Anmerkung: Durch das ganze Wirrwarr durchzublicken, ist nicht ganz einfach. Ich bin für jede Korrektur und Ergänzung dankbar und werde mich bemühen, diese im Artikel zu vermerken. Ebenso bin ich offen für weitere Zahlen von Rechteinhabern oder GEMA-Mitgliedern mit mehr Einblick, um ein wenig Transparenz voran zu treiben. Mails, die auf Wunsch vertraulich behandelt werden: johnny at spreeblick dot com.

Quelle: http://www.spreeblick.com/2011/06/21/gema-vs-youtube-geruchte-zahlen-forderungen/

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